Erzählperspektiven

Neutraler Erzähler, neutrale Erzählperspektive

Übersicht

Wie immer gilt: Der Autor ist nicht gleichzusetzen mit dem Erzähler! Das gilt auch für den neutralen Erzähler, auch wenn er nahezu unsichtbar bzw. kaum wahrnehmbar ist. Der neutrale Erzähler wird auch als beobachtender Erzähler bezeichnet. Er tritt völlig in den Hintergrund und wird somit vom Leser kaum wahrgenommen. Man könnte fast behaupten, dass es sich gar nicht um eine Erzählperspektive handelt, da eine Perspektive im Grunde gar nicht eingenommen wird. Tatsächlich vertreten einige Literaturwissenschaftlicher diese These. Gleichwohl bietet es sich aber an, den neutralen Erzähler in den Kanon der Erzählperspektiven aufzunehmen, wenn man Texte analysiert.

Der neutrale Erzähler berichtet nur das, was von außen wahrnehmbar ist. Im Gegensatz zum personalen Erzähler bleiben die Gedanken der Figur(en) dem Leser verborgen, es denn, sie werden in wörtlicher Rede kommuniziert. Auch gibt es bei der neutralen Erzählperspektive keine Kommentare oder Wertungen durch den Erzähler. Beides führt dazu, dass der Leser nicht durch die Geschichte geführt bzw. vom Erzähler beeinflusst oder gelenkt wird. Vielmehr muss sich der Leser selbst Urteile über das Geschehen und die handelnden Personen bilden.

Eigenschaften des neutralen Erzählstils

Der Erzähler nimmt die Position eines unsichtbaren Beobachters ein. Es gibt weder Wertungen oder Urteile durch den Erzähler. Auch wird auf Rückblicke oder Zeitsprünge in die Zukunft verzichtet. Weder kommentiert der Erzähler das Geschehen, noch wird der Leser direkt durch den Erzähler angesprochen. Der Erzähler weist keine auktorialen Züge auf; er weiß nicht mehr als der Leser. Daraus ergibt sich, dass es sich um szenische Darstellungen handelt. Auch ist es möglich, Texte nur in wörtlicher Rede zu verfassen und dem Leser allenfalls mit auf den Weg zu geben, ob das Gesagte geflüstert, gefragt, geschrien oder ähnliches wird.

Wirkung und Verwendung

Da der Leser nicht durch die Geschichte geführt wird, es also keine Wertungen oder Einblicke in die Gefühlswelt der Figuren gibt, ist der neutrale Erzähler vor allem eins: neutral und sachlich. Möchte man die Wertung eines Geschehens also gänzlich dem Leser überlassen, bietet sich der neutrale Erzählstil an.

Die Verwendung des neutralen Erzählstils kann jedoch dazu führen, dass ein Text monoton und wenig lebendig wirkt. Der Autor beraubt sich einiger Stilmittel, die es ihm ermöglichen (leichter) Spannung zu erzeugen. Dem Leser fehlt beispielsweise der Erzähler als Verbündeter oder als Gegner. Die Gefühlswelt der Figuren bleibt in der Regel verschlossen, obwohl sie sehr interessant sein mag. Der Umgang mit dieser Erzählperspektive ist mithin nicht einfach.

Ein Text muss bekanntlich nicht durchgängig in einer Perspektive verfasst sein. Auch treten die Erzählperspektiven regelmäßig nicht in ihrer Reinform auf. Die Verwendung der neutralen Erzählperspektive bietet sich also insbesondere an, wenn sich der Erzähler bezüglich eines bestimmten Geschehens zurückziehen will, um dem Leser einzelne Szenen zur eigenen Wertung zu überlassen. Der Autor vollzieht bewusst einen Perspektivwechsel, so dass eine Multiperspektive vorliegt.

Beispiel

Schauen wir uns den personalen Erzähler anhand eines Beispiels an:

Seinen Blick fest auf das Smartphone gerichtet, schlenderte Luca den Gehweg entlang. Das Handy gab ein akustisches Signal von sich. Wenige Meter vor ihm befand sich der Pfosten einer Laterne. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite saß derweil Marie in einem Café. Sie schaute zu Luca und der Laterne. Luca befand sich nur noch wenige Zentimeter von der Laterne entfernt.

Dem Leser wird hier eine Szene vor Augen geführt. Dazu wird quasi eine an der Straße montierte Kamera verwendet. Nur das, was sie sieht, wird dem Leser mitgeteilt. Das ist alles. Was Luca und Marie denken, erfährt der Leser nicht. Dass Marie Gefallen an Luca findet, bleibt im Verborgenen, ließe sich aber im weiteren Geschehen durch das Verhalten oder das Gesagte darstellen. Auch werden keine Wertungen oder Kommentare abgegeben.